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Titel
Kirche und Ketzer. Wege und Abwege des Christentums


Herausgeber
Hägg, Tomas
Erschienen
Köln 2010: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
298 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Kathrin Utz Tremp, Staatsarchiv Freiburg

Dieses Buch ist die Übersetzung eines praktisch gleichen, das 2008 in Norwegen und auf Norwegisch erschienen ist. Dieses wiederum ist die Frucht eines Forschungsprojekts «Wege und Abwege», das in den Jahren 2004–2006 am damaligen Institut für Klassische Philologie, Russisch und Religionswissenschaft der Universität Bergen stattfand. Die einzelnen Beiträge sind mit kommentierten Literaturhinweisen sowie Hinweisen auf Primärquellen (in Übersetzung) und Sekundärliteratur versehen. Das Schwergewicht liegt mehr auf der Antike als auf dem Mittelalter. – Tomas Hägg, Einleitung (9–14). – Einar Thomassen, Der Ursprung des Ketzerbegriffes und die ersten Ketzer (15–39), verfolgt, wie der Begriff der Häresie, der zunächst wertneutral war und nichts anderes bedeutete als «(philosophische) Schule», «bewusst gewählte Meinung», in der Spätantike eine negative Konnotation bekam und im Kontext einer Kirche, die sich zunehmend als «alleinseligmachend » verstand, die Bedeutung von abweichender, individueller Meinung menschlichen oder gar dämonischen Ursprungs erhielt. In der Folge lässt der Autor all jene «Ketzereien » Revue passieren, die die spätantike christliche Orthodoxie – negativ – entscheidend geprägt haben (Gnosis, Manichäismus, Adoptianismus, Dozetismus, judaisierende Ketzereien). – Ingvild Sælid Gilhus, Bischof Epiphanius von Salamis und der «Medizinschrank gegen Ketzer» (41–55), stellt Bischof Epiphanius von Salamis (geb. ca. 315) und seinen «Medizinschrank gegen Ketzer» (panarion, geschrieben ca. 370) vor. Darin beschreibt der Bischof in Analogie zu den achtzig Konkubinen des Hohelieds ebensoviele Ketzereien und begründet damit das Genre der Ketzerlehre(n). – Jan Erik Steppa, Ketzerrhetorik und Definitionsmacht: Christologische Konflikte in der Spätantike (300–500) (57–91), childert die machtpolitischen Hintergründe der Auseinandersetzungen zwischen Arianern und Nichtarianern innerhalb der Kirche von Alexandria und des spätrömischen Reichs überhaupt und zeigt auf, dass Ketzerei und Orthodoxie in solchen Situationen absolut relative Begriffe sind und dass die Orthodoxie notwendigerweise der Ketzer bedarf.

Einar Thomassen, Ketzerei im Mittelalter: Die Katharer (93–115), stellt die Katharer als Ketzer par excellence des Mittelalters und die Anfänge der Inquisition dar, allerdings nicht auf der Höhe der heutigen Forschung, obwohl er sich u. a. auf Malcolm Lamberts Geschichte des Katharismus stützt, die dieses Kriterium durchaus erfüllt. Schade, dass die mittelalterlichen Häresien nicht besser vertreten sind. – Jostein Bortnes, Ketzerei und Sodomie (117–148), stellt die Sodomie in den Zusammenhang der Ketzerei und liest Stellen aus dem Prozess gegen die Templer (1307–14) vor dem Hintergrund der päpstlichen Bulle «Vox in Rama» (1233), die er allerdings zusehr nur mit Bernd-Ulrich Hergemöller, Krötenkuss und schwarzer Kater (1996), interpretiert. – Tarald Rasmussen, Luther als Ketzer (149–168), schildert den Verlauf des Ketzerprozesses gegen Luther, der mit seiner Ablasskritik nichts anderes als eine innerkirchliche disputatio gesucht hatte, und fragt sich, inwieweit der Reformator einen neuen Ketzertypus darstellt und inwieweit die Kirchenspaltung hätte vermieden werden können. – Nils Gilje, Hexen als Ketzer: Dämonologie und Zauber in der frühen Neuzeit (169–190), beschreibt zutreffend die Entwicklung von der alten Zauberin zur «modernen» Hexe, die sich durch den Pakt mit dem Teufel auszeichnete. Diese Entwicklung vollzog sich im Norden Europas zwischen Ende des 15. und Ende des 16. Jahrhunderts (im Westen allerdings bereits einiges früher). – Gina Dahl, Der Kampf gegen die schädlichen Bücher (1500–1800) (191–209), führt an den Beispielen Dänemark und Norwegen aus, wie die protestantischen Reformatoren das Buch als Mittel zur Verbreitung ihrer Botschaft benutzen, welche Bücher als unerwünscht oder ketzerisch abgestempelt und welche Mittel zur Verhinderung unerwünschter Drucke eingesetzt wurden.

KarsteinHopland, Liberales Christentum in einer neuorthodoxen Zeit: Theologischer Ketzerdiskurs in Norwegen (1920–1957) (211–241), schildert den Streit zwischen libera lem und orthodoxem lutheranischen Christentum, der seit Beginn des 20. Jahrhunderts in Norwegen herrschte und der in der sog. Höllendebatte (1953–57) gipfelte. – Dag Oistein Endsjo, Sex, Abendmahl und Menschenrechte: Neue Herausforderungen für die Katholische Kirche (243–259), untersucht, inwieweit die Haltung der katholischen Kirche gegenüber der Homosexualität als Vorstoss gegen die Menschenrechte zu werten sei. – Lisbeth Mikaelsson, Die Gefahren des Regenbogens: Bedrohung durch die New Age-Bewegung (261–281), entlehnt den Titel von Constance Cumbey, The Hidden Dangers of the Rainbow. The New Age Movement and Our Coming Age of Barbarism (1984), um die wichtigsten New Age-kritischen Bücher vorzustellen, die meist aus den Federn von evangelikalen Fundamentalisten stammen und die sich gegen die Beliebigkeit der New Age-Bewegung richten. Ein Autorenverzeichnis sowie ein Namens- und Sachregister beschliessen den reichhaltigen Band.

Zitierweise:
Kathrin Utz Tremp: Rezension zu: Tomas Hägg (Hg.), Kirche und Ketzer. Wege und Abwege des Christentums, aus dem Norwegischen übersetzt von Frank Zuber, Köln/Weimar/Wien, Böhlau, 2010. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 104, 2010, S. 471-472.

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